Wandern durch die Geschichte

Dies ist die Schilderung einer (mehrteiligen) Wanderung: Von den Karpaten durch die Hohe Tatra, die Sudeten, bis ins Erzgebirge, den Böhmer Wald. Und es ist auch die Schilderung einer Begegnung mit der Geschichte.

Man spricht auch deutsch in den Karpaten(III)

Ein Friedhof und viele Bunker

Hochgebirge - das heißt auch Gefahr, das heißt auch Opfer. Gedenktafel auf dem "Symbolischen Friedhof" _ Foto: Peter GollnikMehr als 400 Namen sind auf dem "Symbolischen Friedhof" unterhalb des Popradsé pleso auf beinahe 300 Gedenkplatten aufgeführt - abgestürzt, erfroren, erschlagen in der Hochgebirgswelt der Hohen Tatra. Ernst Gottlieb, zum Beispiel, "gestürzt am 17. August 1922 von der Konsticsta", oder Stanislaw Kougil aus Olomouc, der am 2. Mai 1998 am Gerlachovsky sein Leben ließ. "Die Berge waren ihr Leben, die Berge waren ihr Schicksal" steht auf einer Platte für Lars und Dirk Gneupel aus Gera in Thüringen, 1973 und 1976 geboren, am 14. Oktober 1996 am Zapadne Stena zu Tode gekommen. Und das ist "nur" eine kleine Auswahl: "Bei der Massenentwicklung des Tafeln auf dem Symbolischen Friedhof. _ Foto: Peter GollnikTourismus und Bergsteigung in den letzten Jahrzehnten ist es nicht möglich, dass jeder verstorbene Bergsteiger und Tourist ein Gedenkschild auf dem Symbolischen Friedhof hätte", sagt die Nationalparkverwaltung TANAP, Trägerin des in Zirbelkiefern und Vogelbeerbäumen eingebetteten Hains.

 

Strbské pleso (Tschirmersee): Eine gute Stunde über die mit Schautafeln zum Naturlehrpfad gestaltete Tatranska Magistrala zur höchstgelegenen Gemeinde in der Tatra (1354 Meter), Köurort, Wintersportzentrum, grauenhaft anzusehende Hotelklötze - Tschirmersee: Monströse Hotelbauten. _ Foto: Peter Gollnikund eine Zahnradbahn fünf Kilometer hinunter und 430 Meter tiefer nach Strba (Ticket: 30 Kronen).

Wanderer, kommst Du nach Strba, meide Pensionen, die schon 300 Meter hinter dem Bahnhof mit riesengroßer Aufschrift werben! 700 Kronen, ohne Kaffee, ohne Heizung, nix Handtücher, null Seife - die "Massenentwicklung des Tourismus" zeigt Wirkung.

Wie überhaupt im Gebiet der administrativen Nicht-Stadt Vysoké Tatry. Schon wird darüber diskutiert, mehr und mehr und noch mehr Hotels, Skipisten, Freizeitparks, Unterhaltungseinrichtungen in die Fläche zwischen Strbské pleso und Smokovec zu setzen, die am 19. November 2004 ein Wirbelsturm innerhalb kürzester Zeit platt gemacht hatte: 50 Kilometer lang, fünf Kilometer breit ist das Band der Verwüstung, der Sturm ging einmal hin und einmal her, ein Viertel des Waldes des gesamten Hohen Tatra war in Minuten gefallen - flachwurzelnde Fichten Platt gefegt: Streifen unterhalb der Tatra-Bahn zwischen Smokovec und Strbské pleso zwei Jahre nach dem verheerenden Wirbelsturm. _ Foto: Peter Gollnikzumeist, Monokultur zur wirtschaftlichen Ausbeutung. Die Folgen: Unübersehbar. Borkenkäferbefall, Fortfall des Lebensraumes heimischer Tiere, Verlust der klimatischen Funktion, unbekannt die Auswirkung auf den Wasserhaushalt; am 30. Juli 2005 fegte ein Feuer durch die Wüstenei - eine weggeworfene Zigarette hatte einen drei Tage dauernden Flächenbrand in den Waldresten (und den Neuanpflanzungen) ausgelöst.

Aufmarschgebiet war das hier einmal, als das Habsburger Reich zerschlagen war, als es neben Deutschen, Ungarn, Ruthenen, Ukrainern, polnischen Goralen, neben damals 80.000 Juden, heute noch 400.000 Roma, als es Slowaken und Tschechen gab und auch 20 Jahre lang einen Tschecho-Slowakischen Staat. Der war 1919 nach Kriegsende in St. Germain aus Böhmen, Mähren, dem österreichischen Schlesien, den Gebieten von Slowaken und Karpato-Ukrainern zusammen gekittet worden: Eine Völker-Vereinigung, die den Keim für Konflikte von Geburt an mit sich brachte - was in das Vier-Mächte-Abkommen über die Übergabe der Sudeten-Gebiete an Hitler-Deutschland mündete. Nachdem auch noch Polen große Stücke um Teschen, Ungarn Teile der südlichen Slowakei annektiert hatten, gab Großdeutschlands Kanonen-Drohen dem jungen Staat den Rest - die Slowakei trennte sich von Tschechien, schloss einen "Freundschaftsvertrag" mit dem Hitlerreich, Tschechiens seniler Präsident Hacha gab am 14. März 1939 die Freiheit seines Volkes auf. Fünf Wochen später marschierten Gebirgsjäger aus Deutschland in Poprad ein, und die in Paris von der Exil-Parteiführung der deutschen Sozialdemokraten gesammelten Deutschlandberichte listen im Mai 1939 auf: "In einem bei Poprad gelegenen Flughafen ist zur Zeit das Jagdgeschwader 165 mit 216 Maschinen stationiert. Zum Aktionsbereich ... würde das neue polnische Industriegebiet bei Tarnow gehören"...

Aufmarschgebiet - ein Stück weiter nach Westen auf der Tatranska Magistrala rechtsab ins Vazecka-Tal hinein: Bunker im Wald; nach Süden, nahe Vychodná: ein deutscher Soldatenfriedhof.

 

Peter J. Gollnik, Sept./Okt. 2006

► (IV) Bären, Wölfe und St. Nikolaus