EU-Binnenmeer Ostsee

Anfang der 70er Jahre war es, als an der Ostsee der West-Ost-Pauschaltourismus zaghaft startete. Das hannoversche Reiöseunternehmen Hummel fuhr schon bald nach Polen, nach Schlesien, nach Pommern, Masuren, nach Danzig, Zoppot, Frauenburg. Eine Fahrt mit den damaligen "Heimwehtouristen": Dieser Text erschien 1976 in der Bremerhavener Nordsee-Zeitung, im Stader Tageblatt, den Cuxhavener Nachrichten und anderen Zeitungen.


So war das in den 70ern: Pauschal nach Polen mit Hummel-Reisen

Vom Heimweh zur Verständigung


"Die waren wie verrückt; sie sprangen aus dem Bus, warfen sich hin und küssten die Erde." - Eberhard Preuschmann, Gebietsleiter für Polen des hannoverschen Reiseunternehmens Hummel, erinnert sich ausgesprochen nachdenklich dieser Szenen aus den Anfängen des organisierten Pauschaltourismus nach Polen. 1971 war es, als die Warschauer Behörden erstmals einem Reiseunternehmen aus der Bundesrepublik Aufenthaltsreisen in Polen genehmigte. Damals kamen 1500, davon die Hälfte ehemalige Bewohner der früher deutschen Gebiete, weitere 20 Prozent Angehörige von Flüchtlingen. Die meisten waren über 60 Jahre alt. Sie fuhren "nach Hause".

Damals, das war nach langer Zeit wieder der erste durchgehende (Sonder-)Zug von Köln nach Allenstein - heute für die Pioniere des Pauschalreisens nach Polen gängige Alltäglichkeit. Denn: Heute - das waren 1975 rund 7200 Polen-Pauschalreisende. Und das sollen in diesem Jahr - so das Hummel-Management hoffnungsfroh auf einer Pressekonferenz in Breslau - schon 8500 sein.

An der Struktur des diesjährigen Besucherstromes wird sich jedoch auch angesichts der rapiden Zunahme der Buchungen nicht allzu wesentlich etwas ändern: Auch in diesem Jahr wird sich noch etwa die Hälfte aus - so der Jargon der Reisebranche - "Heimweh-Touristen" rekrutieren, ehemaligen Bewohnern, Angehörigen, Nachkommen von Flüchtlingen. Die andere Hälfte allerdings, so schließt man bei Hummel aus der bisherigen Statistik, wird dann schon aus "reinen Urlaubern" bestehen, jüngeren Reisenden ohne engere Beziehungen zur polnischen Landschaft.

Sowohl Polen als auch (Bundes-)Deutsche sehen das nicht ungern. Die Polen nicht zuletzt willkommener Westdevisen, die Deutschen der verstärkten "hautnahen" Annäherung zwischen beiden Völkern wegen. "Weil dann Sand in den Graben geschüttet wird", formulierte es Presse-Attaché Scharmeier von der Botschaft der Bundesrepublik in Warschau.

Bei Hummel ist man sich des völkerverbindenden Effektes bewußt. Man hat einen Vier-Phasen-Plan aufgestellt: In der ersten Phase herrschte noch der "Heimweh-Tourismus" vor: "Da waren keine Fahrzeiten der Züge zu lang, da gab es kaum Reklamationen" erinnert man sich. In der zweiten Phase fanden sich die Heimweh-Touristen (bei weiteren Reisen nach Polen) mit der politischen Realität ab. Freundschaften wurden geschlossen. Ehemalige Bewohner der bereisten Gebiete verbrüderten sich - in der dritten Phase - mit den jetzigen Bewohnern, man "lieferte" auf den Pauschalreisen nach Polen ganze Maschinenteile und Fahrräder, brachte dafür körbeweise Geflügel, Eier, Schinken, Speck, ganze Tannen mit Wurzeln und schwere Koffer mit Steinen von den ehemals eigenen Feldern wieder mit in die Bundesrepublik: Das Eis war gebrochen.

Jetzt hoffen die Reisemanager auf die vierte Phase: Der Nur-Urlauber soll nach Polen kommen. Das allerdingsstößt noch auf Schwierigkeiten. Nicht nur, dass der Bundesbürger (im Gegensatz zu Finnen, Schweden, Norwegern, Österreichern) für den Polenbesuch wochenlang auf ein Visum warten muss, die polnischen Reisepartner sind auf den Massenansturm westlicher Touristen auch noch gar nicht gerüstet. Presse-Attaché Scharmeier warnt denn auch: Die polnische Bevölkerung sei noch lange nicht genügend vorbereitet auf die Fernsehnsucht westlichen Standard; mit einer ganzen Invasion düstender und hungernder, amüsementsüchtiger Urlauber werde von vorerst noch nicht fertig werden können - man hat nichts zu bieten außer Landschaft.

Auf polnischer Seite zuckt man dazu von Staats wegen die Schultern: Erst müsse man den eigenen Bürgern genügend Möglichkeiten zum Urlaub im eigenen Land bieten können (ein Generalplan existiert, er läuft bis 1990), dann könne man sich auf den im übrigen gern gesehenen Gast konzentrieren.

Man versucht es immerhin, mit ausländischer Hilfe und teuren Westdevisen: Französische und schwedische Firmen bauten und bauen in ganz Polen Hotels mit westlichem Standard - für den Westtouristen gedacht, für ihn auch die Preise gemacht (Übernachtung im Novotel in Breslau umgerechnet 40 Mark). Allerdings selbst dort noch Schwierigkeiten: Um spätestens 23 Uhr schließt die Hotelbar in den meisten Nobelherbergen. Und dann helfen auch dickste Trinkgelder nichts mehr: "Novotel"-Manager Eugeniusz Frackiewicz erzählte mir in Breslau verzweifelt, dass er seinem Personal für Überstunden bei einer Sonderveranstaltung schon bis zu 800 Zloty extra geboten habe (Durchschnittsmonatsverdienst 3000 bis 4000 Zloty). Die Bedienung habe es jedoch vorgezogen, pünktlich nach Hause zu gehen.

Schwierigkeiten auch mit den Preisen. Auslänische Touristen zahlen in Polen erheblich mehr als polnische Bürger. So kommt es dann, dass Hummel, inzwischen gröter Westpartner des staatlichen polnischen Reisebüros "Orbis", zwar mit sogenannten "Sparpreisen" (Krummhübel am Fuß der Schneekoppe für 284 Mark: Fahrt, Übernachtung und Vollpension) werben kann, die "Normalpreise" jedoch leicht die Tausendmarkschein-Grenze übersteigen - pro Person, versteht sich. Polen ist eben immer noch "exklusiv", ob in Schlesien, Pommern, an der Danziger Bucht oder in Masuren. Zitat aus dem Prospekt: "Zu beachten ist der unterschiedliche Geschmack für Wohnkultur. Er mutet häufig fremd an und zwingt zu einer gewissen Ein- und Umstellung."

Na denn, als ich im "Hotel Cieplice" in Bad Warmbrunn duschen wollte, floß das Wasser braun. Die Toilettenspülung verlangte Athletenkräfte, und das Zimmer duftete nach frischer Desinfektion. Bei Polen-Reisen sollte man eben eine gewisse Einstellung mitbringen...

PETER GOLLNIK, 1976 veröffentlicht in Nordsee-Zeitung, Stader Tageblatt, Bremervörder Zeitung, Cuxhavener Tageblatt und anderen.



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