Geschichten aus der Provinz

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Rezeptfälschungen, Entwöhnung - und eine letzte Chance

Methadon am Steuer

"Das werden Sie sicher schaffen", drückte Richter Hans-Rainer P. im Schwurgerichtssaal des Neumünsteraner Amtsgerichts seine Zuversicht gegenüber der Angeklagten aus. Zu 18 Monaten Haft, für drei Jahre ausgesetzt zur Bewährung, hatte er die 32-jährige geschiedene Mutter gerade verurteilt, außerdem muss sie sich der Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellen, der eingezogene Führerschein darf frühestens nach einem Jahr wieder an sie ausgegeben werden.

Vor Richter Pichinot hatte die von Arbeitslosenhilfe lebende Frau ursprünglich wegen zweier schwerer Verkehrsunfälle erscheinen sollen, die sie trotz Fahrverbots verursacht hatte. Dann aber hatten die Akten ein ganz anderes Sündenregister aufgedeckt - schließlich saß sie nicht nur wegen fahrlässiger Körperverletzung und Gefährdung des Straßenverkehrs auf der Anklagebank, sondern auch noch wegen zweier Diebstähle und insgesamt neun Urkundenfälschungen: Die Medikamentenabhängige hatte bei Ärzten Rezept-Formulare "eingesteckt" und damit in mehreren Neumünsteraner Apotheken versucht, auf andere Namen ein verschreibungspflichtiges Medikament zu bekommen. In allen bekannten Fällen übrigens vergeblich: Den Apothekern kamen die Rezepte dubios vor, sie verweigerten die Herausgabe.

Wegen ähnlicher Delikte war die Frau bereits im vorigen September zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden (wobei die jetzt auf dem Verhandlungstisch liegenden Fälle aus einer Zeit vor der damaligen Verurteilung datierten).

Nur vorsichtig formulierte Richter P. die Möglichkeit, dass es eben die körperliche Abhängigkeit der weiterhin unter Methadon-Substition (ein Drogen-Ersatz) stehenden Angeklagten war, die auch zu den Fahrfehlern geführt haben könnte, mit denen sie die beiden Unfälle verursacht hatte. Im ersten Fall hatte sie im Juni zwischen Brokenlande und Bad Bramstedt versucht, mit ihrem Opel trotz Gegenverkehrs ein anderes Auto zu überholen ("wir fuhren 90 bis 100 km/h", so die Betroffenen), den Überholvorgang im letzten Moment abgebrochen und das vor ihr fahrende Auto gerammt.

Nicht einmal eine Woche später kam sie zwischen Wasbek und Aukrug ins Schleudern und stieß auf der Gegenfahrbahn frontal mit einem entgegen kommenden Auto zusammen: "Wir wollten nach Dänemark in den Urlaub, plötzlich scherte ein Auto aus, und dann krachte es auch schon." Ihr passierte so gut wie nichts, aus dem gerammten Auto musste die Feuerwehr die Beifahrerin herausschneiden, drei weitere Menschen wurden ebenfalls verletzt.

Zu dieser Zeit war gegen die Angeklagte gerade ein einmonatiges Fahrverbot rechtskräftig. "Ich wollte meine Tochter von der Schule abholen", begründete die Frau, die angab, bis zur Arbeitslosigkeit als Berufskraftfahrerin Lieferwagen gefahren zu haben, ihre "Eile". Ob sie unter Drogen gestanden habe? - "Zu der Zeit nicht, außer Methadon".

Auf insgesamt 20 Monate Haft, drei Jahre lang zur Bewährung ausgesetzt, plädierte schließlich der Staatsanwalt. Der kurzfristig beigeordnete Pflichtverteidiger (der Anwalt der Angeklagten war nicht erschienen) wollte "Rücksichtslosigkeit" und "grob" fahrlässiges Verhalten bei den Verkehrsunfällen nicht gelten lassen, bei den Rezeptfälschungen kritisierte er die "schlichte Addition" und wies darauf hin, dass die Angeklagte sich "auf einem guten Weg" befinde, sich einer Drogentherapie unterziehe und sich im Gerichtssaal "aufgeschlossen" gezeigt habe: "Das sieht man nicht alle Tage".

Der schließlich sichtlich erleichterten Angeklagten gab Richter P. noch etwas mit auf den Weg: Sie möge doch überlegen, ob eine gesteigerte Entwöhnungstherapie das Richtige für sie sei. Auf jeden Fall: "Wir gehen davon aus, dass sie weiterhin ihr Methadon-Programm befolgen".

Peter J. Gollnik / März 2003



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